BORIS GROYS. "Die <pre>kommunistische Lage" (german)

Matze Schmidt matze.schmidt at n0name.de
Mon Jun 14 17:29:25 CEST 2004


DIE GESCHICHTSSCHREIBUNG SUCHT EIN NEUES SUBJEKT<tagged>'n'Xed Vers. 0.2

Die <pre>kommunistische Lage<, Condition, Bedingung>

Verheerende Folgen hatte das Ende des Kalten 
Krieges in Afrika, wo die nach dem Zweiten 
Weltkrieg entstandenen Staaten, die lange durch 
die Konkurrenz der Großmächte gestützt wurden, zu 
verfallen drohen. Doch die Hinterlassenschaften 
des Kommunismus haben auch unsere Gesellschaften
zutiefst geprägt. Der durch die Kommunistische 
Internationale aus den Angeln gehobene 
Nationalstaat sieht sich heute neuen 
internationalen Anfechtungen ausgesetzt< - ihn gilt es zu retten>.

Von BORIS GROYS  *

* Professor für Kunstwissenschaft, Philosophie 
und Medientheorie am ZKM, Karlsruhe. Er 
kuratierte die Berliner Ausstellung 
"Privatisierungen. Zeitgenössische Kunst aus 
Osteuropa" (Kunst-Werke). Zuletzt erschienen 
"Politik der Unsterblichkeit. Vier Gespräche mit 
Thomas Knöfel" (2002), und "Topologie der Kunst" 
(2004).



DIE Osterweiterung der Nato und der EU wird oft 
als das definitive Ende des Kalten Krieges 
interpretiert. Und oft wird dabei so getan, als 
ob der verschwundene Kommunismus bloß eine 
Unterbrechung, eine Pause, eine Verzögerung in 
der "normalen" Entwicklung der osteuropäischen 
Länder darstelle - eine Verzögerung, die nach 
ihrer Beendigung nichts anderes hinterlassen habe 
als einen gewissen "Nachholbedarf". Der 
Kommunismus erscheint aus dieser Perspektive 
wieder einmal als Gespenst. Über die 
postkommunistische Lage zu sprechen bedeutet 
dagegen, das historische Ereignis des Kommunismus<, das nie stattfand,
als Figur> ernst zu nehmen und sich <erfinderisch>ernsthaft zu fragen,
welche Spuren<, die wir einschreiben,> vom Kommunismus geblieben sind,
inwieweit die Erfahrung des Kommunismus unsere 
eigene Gegenwart immer noch prägt - aber auch: 
warum sich der Kommunismus als eine bloße 
historische Pause denken lässt. Diese 
Fragestellung betrifft übrigens nicht allein die 
vormals kommunistischen Länder<wie wir sie nicht kannten>, sondern die ganze
Welt, deren gegenwärtige Lage man als eine 
<pre>kommunistische bezeichnen kann.

Der Kommunismus ist lange Zeit bloß ein 
Versprechen, eine Utopie, eine gedankliche 
Konstruktion, eine politische Vision gewesen. 
Diese Vision hat eine große Geschichte aus 
Formulierungen und Reformulierungen - von Platon 
über Thomas Morus bis zum utopischen Sozialismus 
des 19. Jahrhunderts. Die Frage nach der 
Realisierbarkeit dieser Vision blieb während 
dieser langen Geschichte allerdings offen. Der 
Ort der kommunistischen Utopie war allein die 
Zukunft. Heute ist der Ort des Kommunismus die 
Vergangenheit: Der Kommunismus hat als ein reales 
Ereignis in der realen Geschichte stattgefunden. 
Die Tatsache, dass dieses Ereignis inzwischen 
abgeschlossen <sei>, macht gerade <nicht>seine Realität
aus.

Nun hört man allerdings immer wieder, dass das 
kommunistische Experiment des zwanzigsten 
Jahrhunderts keinen wahren Kommunismus 
hervorgebracht habe - vielmehr soll es sich beim 
realen Sozialismus sowjetischer Prägung um einen 
Verrat am kommunistischen Ideal gehandelt haben, 
um eine totalitäre Diktatur, die eine Parodie des 
Kommunismus und nicht seine wahre Realisierung 
dargestellt habe. Dementsprechend wird behauptet, 
dass die Erfahrung des realen Sozialismus für die 
Formulierung und Pflege des kommunistischen 
Ideals eigentlich gar keine Relevanz habe - 
weswegen man dieses traurige Schauspiel lieber 
gleich vergessen solle: Nicht allein aus einer, 
sagen wir, antikommunistischen Perspektive, 
sondern auch aus einer linken, prokommunistischen 
Perspektive präsentiert sich der reale 
Sozialismus des zwanzigsten Jahrhunderts demnach 
heute als eine bloße Verzögerung, als eine Pause 
in der Entwicklung des kommunistischen Ideals. 
Diese Diagnose klingt allerdings nur auf den 
ersten Blick überzeugend. Jede Realisierung eines 
abstrakten Ideals ist per definitionem ein Verrat 
an diesem Ideal<selbst wenn es meine westlich-kapitalistische
Nomenklatura-Filosofie so schoen verdreht, ueberhoeht und ich eine
"Lage" daraus mache> - und die Länder des realen<?>
Sozialismus haben von sich aus niemals den 
Anspruch erhoben, den Kommunismus zu 
verwirklichen, sondern sie haben sich selbst 
lediglich als Übergangsformen auf einem sehr 
langen Weg hin zum Kommunismus begriffen.

           *


Als reales Ereignis in einer realen Geschichte 
ist der Kommunismus kein "System", keine 
"Formation" oder "Institution". Das Ereignis des 
Kommunismus besteht vielmehr in der Übertragung 
der Diskussion über den Kommunismus aus dem 
theoretischen Feld ins Feld der realen Politik<, die nicht die
der Besitzenden war>.
Zu diesem Ereignis gehören neben den 
verschiedenen kommunistischen Orthodoxien und 
Häresien auch der Antikommunismus, das 
Renegatentum und die Dissidenz<, aber auch Hitler und die DeutscheBank
und ueberhaupt alle Banken>. Mit dem Abschluss
des kommunistischen Ereignisses<als Weg zum Kommunismus, wenn ich mich
richtig verstehe,> hat sich die
Diskussion erneut vom realpolitischen ins
theoretische Feld verlagert<. Und die Frage, ob der Kommunismus
stattgefunden hat oder nicht ist hiermit beantwortet: Er war ein
Trugbild, oder auch nicht, je nach dem wie es in eine Ausstellung
mit roten Teppichen passt.> Allerdings ist eine
postkommunistische Diskussion<, die zugleich eine prekommunistische ist> über den
Kommunismus von der vorkommunistischen Diskussion 
über den Kommunismus grundverschieden.<Das bedeutet, dasz alle
real-sozialistischen Laender, die nicht kommunistisch waren, letztlich
zum kommunistischen Ereignis gehoerten, insofern sie nichtkommunistisch
waren.> Denn alle
Teilnehmer dieser theoretischen Diskussion wissen 
heute insgeheim, dass sie sich, sobald diese 
Diskussion unter Umständen wieder einmal ins 
reale politische Feld übergreift, in einem 
bereits bekannten Ereignis des Kommunismus 
wiederfinden - im gleichen Stück, das sie aus der 
Geschichte (immer) schon kennen. Die neue 
Aufführung dieses Stücks<, das nicht mehr real war, als Theater,> wird sicherlich anders
verlaufen - die Rollen werden anders besetzt, 
einiges wird wahrscheinlich "besser" gemacht und 
anderes dagegen "schlechter" -, aber es wird sich 
trotzdem notwendigerweise um eine 
Wiederaufführung des gleichen Stücks handeln.<Womit ich endlich meine Position
als negativer Post-Strukturalist zu erkennen gebe, der an die Zwangslaeufigkeit von
Geschichte als Wiederkehr des immer selben Kommunismus aus dem
Fernsehen, beziehungsweise aus der Verzerrung der rellen Verhaeltnisse
glaubt. Tja, der Kommunismus hat eben doch verloren, Jesus hat gewonnen.>

Eine gute Analogie dazu bieten die Bemühungen der 
mittelalterlichen Monarchien, einen christlichen 
Staat zu errichten. Es wäre unangemessen, diesen 
Monarchien vorzuwerfen, das "wahre Christentum" 
nicht verwirklicht zu haben, denn das Christentum 
selbst sieht sich allein im Reich Gottes 
vollständig verkörpert. Im Mittelalter wurde aber 
die Frage, wie man das Reich Gottes erreichen 
kann, zu einer politischen Frage - darum waren 
die mittelalterlichen Monarchien genuin 
christlich. Darum waren damals auch die 
Satanisten und Atheisten genuin christlich, denn 
sie gehörten ebenfalls zum christlichen Ereignis 
- so wie die Antikommunisten im Kalten Krieg zum 
Ereignis des Kommunismus gehörten, weil sie den 
Kommunismus als eine reale politische Option 
bekämpften und damit bestätigten.<Vergessen wir mal Stalins Rolle als
Kommunismus- und Kommunistentoeter dabei, und konzentrieren uns auf die
anti-kommunistischen Ressentiments des kapitalistischen Westens, der
unter Kommunismus Stalins Dikatur verstand und keine Ahnung hatte warum
Trotzki ermordet wurde.> Heute ist das
Christentum im Bereich der politisch 
unverbindlichen "Gewissensfreiheit" angesiedelt, 
aber man weiß, dass der mittelalterliche Streit 
um die Verwirklichung des christlichen Ideals auf 
Erden, sobald sich die Umstände ändern und die 
Religion erneut unmittelbare politische Relevanz 
bekommt, ebenfalls wieder genauso unmittelbare 
politische Aktualität erlangen wird.<Kommunismus war also nichts weiter
als ein saekularisierter Idealismus, dessen theoretische Entwuerfe
halbwegs wirklich wurden. Er war also der beruehmte falsche Film,
praesziser noch war er ein gefaelschter falscher Film.>

Die postkommunistische Lage zeichnet sich aber 
zuallererst dadurch aus, dass die heutige 
politische Lage des Westens zunehmend auf die 
gleiche Weise empfunden und in gleichen Termini 
beschrieben wird wie damals der sowjetische 
Kommunismus - das heißt als realisierte Utopie 
bzw. als realisierte Antiutopie. Die 
Selbstbeschreibung des westlichen Kapitalismus 
als realisierte Utopie hat ihre Wurzeln in der 
Rhetorik des Kalten Krieges. Damals geriet der 
westliche Kapitalismus unter einen erheblichen 
Legitimationszwang, der dazu führte, dass sich 
der Westen mehr und mehr als eine Überbietung des 
kommunistischen Ideals der Weltöffentlichkeit<, die natuerlich nur aus
Menschen bestand, die mehr als 120,- EURO im Monat verdienten,>
empfahl.

Im neunzehnten Jahrhundert und noch in der ersten 
Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts galt der 
Kapitalismus allgemein als eine zwar ökonomisch 
effiziente, aber in moralischer Hinsicht 
ungerechte und unvollkommene Ordnung, die man 
allein deswegen zu akzeptieren hatte, weil die 
menschliche Natur in der immer noch ungebrochenen 
christlichen Perspektive als per se ungerechte 
und unvollkommene angesehen wurde. Erst im 
Verlauf des Kalten Krieges ist es allmählich zu 
einer vorbehaltlosen Apologie der real 
existierenden westlich-kapitalistischen Ordnung 
gekommen, die seitdem nicht bloß als Ort des 
ökonomischen Wohlstands, sondern zugleich als 
wahre Verkörperung der Menschenrechte, sozialer 
Solidarität, individueller kreativer Freiheit und 
höchster Moral gelten durfte.

In Zeiten des Kalten Krieges hat sich der Westen 
als Modell für die gesamte Welt empfohlen - als 
ein Modell, das genauso wie das kommunistische 
Modell weltweit exportiert werden konnte und 
sollte. Die Orwellsche Vision einer 
antiutopischen Welt der totalen Überwachung und 
des permanenten Ausnahmezustandes wurde als eine 
Satire auf die sowjetischen Verhältnisse 
verfasst, doch inzwischen hat sie ihre 
rhetorische Anwendung vor allem auf die aktuellen 
politischen Verhältnisse im Westen gefunden. Die 
kommunistische Forderung nach diesseitiger 
Realisierung der Utopie hat der traditionellen 
Politik< der Sklaventreiber> einen Schlag versetzt, von dem sie sich
aller Wahrscheinlichkeit nach niemals mehr 
erholen wird. Diese Forderung eröffnet nämlich 
die Möglichkeit, die vorhandene "Gesellschaft" in 
ihrer modellhaften Totalität als Ganzes zu 
akzeptieren oder zu negieren, wobei diese Wahl 
zwischen totaler Affirmation und totaler Negation 
für die traditionelle Politik keinen Raum mehr 
lässt. Früher waren es vor allem die Religionen, 
deren "Werte" man in ihrer Totalität akzeptieren 
oder negieren konnte - die Gesellschaft, so wie 
sie de facto existierte<, aber als ausbeuterische von den Massen nicht
realisiert, also wahrgenommen wurde>, bot nur die politischen
Rahmenbedingungen für eine solche Wahl<, die keine war - wenn wir uns an
die enteigneten Landarbeiter erinnern>. Später
waren es die universalistischen Werte der 
Aufklärung. In der postkommunistischen Lage sind 
es nun die einzelnen Gesellschaften selbst, die 
in ihrem Ganzen bestimmte Werte verkörpern müssen 
und als fertige Produkte auf dem internationalen 
politischen Markt angeboten werden - egal, ob es 
sich dabei um das europäische, das amerikanische 
oder das islamische Gesellschaftsmodell handelt.<Damit sind die groszen
Bewegungen des Kapitalismus und des Kommunismus am Ende einer
heute Markenlogo-Geschichte, die sich nun wie Ware aus dem Supermarkt leicht konsumieren laesst.>

           *


Darin besteht eigentlich die historische Leistung 
des Kommunismus: Er hat die Gesellschaft in ein 
Gesellschaftsmodell verwandelt. Das heißt: Er hat 
die Gesellschaft in ihrem Ganzen nicht als etwas 
historisch Gewachsenes und somit Singuläres 
gelten lassen, sondern er<, der monolithische Kommunismus, er der Vater
der Voelker> hat sie<faelschlicherweise> als eine
künstliche Konstruktion begriffen, die von Land 
zu Land sowohl exportiert als auch importiert 
werden kann<, was voellig a-historisch und fetischistisch gedacht ist,
denn die 'Konstruktion' ist keine Ingenieurleistung, wie wir sie aus
meinen gereinigten Ausstellungen rund ums Nation-Building kennen, sie entsteht nicht mit CAD. Sie
ist vielmehr - wenn kommunistisch - eine permanente Entwicklung>. Die eigentliche Zumutung des
sowjetischen Experiments war die von Stalin 
erhobene und danach stets von der sowjetischen 
Führung wiederholte Behauptung, dass die 
Sowjetunion den Ort der verkörperten Utopie 
darstellt - wenn nicht im Sinne ihrer endgültigen 
Vollendung, dann zumindest im Sinne ihres 
effektiven Aufbaus. Um die Konkurrenz mit dem 
sowjetischen Kommunismus zu gewinnen, sahen sich 
seine Konkurrenten dazu gezwungen, sich diese 
Behauptung nicht nur zu Eigen zu machen, sondern 
sogar zu überbieten - und somit ihre eigenen 
Gesellschaften als Gesellschaftsmodelle neu zu 
definieren. Die heutige politische und kulturelle 
Lage ist die Folge dieser Überbietungskämpfe. Ein 
neutraler Raum zwischen Affirmation und Negation 
der einzelnen Gesellschaftsmodelle ist verloren 
gegangen - der Zwang zur Wahl hat zugenommen, die 
Frage nach der Unterscheidung zwischen Utopie und 
Antiutopie ist zur zentralen politischen Frage 
unserer Zeit geworden.<Denn diese dumme Sicht auf das was "utopisch"
heiszen kann, naemlich das, was nirgendwo liegt, verstrahlt die Optionen
auf die tatsaechliche Befreiung von Politik als
Ereignishaftigkeitsfolgen, gleichsam als Schicksal von Oben (den oberen
Etagen), und als Kommando. Zudem verkennt diese Diagnose der Situation,
dasz diese Konkurrenz der Gesellschaftsmodelle nur das ideologische Parkett
ist, auf dem sich die Praesidenten mit ihren Auszenministern im Gefolge
der Wirtschaftsbosse bewegen.>

Anders ausgedrückt: Das Ereignis des <abstrakten>Kommunismus
hat eine Epoche des weltweiten, internationalen 
politischen Marktes der gesellschaftlichen 
Modelle eingeleitet.<Und ich schreibe das im nunmehr traditionsreichen
Stil einer sozilogistischen Dialektik, die, woran sie glaubt, auch
empirisch erkennt.> Jedes dieser Modelle preist
sich als Utopie - und wird von der Konkurrenz als 
Dystopie denunziert. Und das bedeutet weiter: Die 
Urszene des kommunistischen Ereignisses 
wiederholt sich nicht nur dann, wenn der 
Kommunismus wieder einmal als eine reale Option 
gehandelt wird, sondern jedes Mal, wenn ein altes 
oder neues postnationales Projekt auf dem 
internationalen Markt der politischen Projekte, 
Modelle und Systeme angeboten wird<, womit alle nichtnationalen Ideen
hiermit wunderschoen diskreditiert waeren>. Postnational
sind diese Projekte und Modelle in dem Sinne, 
dass sie sich aus dem nationalen Kontext lösen 
und international anbieten lassen. So wird das 
"europäische Projekt" von einigen als verkörperte 
Utopie der Menschenrechte, des Friedens und des 
Wohlstands gepriesen - und von anderen als Werk 
der finsteren Brüsseler Bürokratie zum Zweck der 
Errichtung eines Staates der totalen Überwachung 
und Kontrolle denunziert. Der islamische 
Fundamentalismus wird von seinen Gegnern als eine 
neue Verkörperung des kommunistischen Albtraums 
wahrgenommen - und von seinen Anhängern als 
universales Modell eines Gottesstaates auf Erden 
gepriesen. Man spricht über den Neobolschewismus 
der heutigen amerikanischen Neokonservativen usw.<Vom Kapitalismus kann
ich selbst nicht sprechen, da ich ihm ja angehoere.>

Seit der Zeit, da der Nationalstaat seinen 
Siegeszug angetreten hat, ist der Kommunismus das 
Erste der postnationalen Gesellschaftsmodelle. 
Dies erklärt auch, warum sich dieses Ereignis<als Modell, als Staat, als
Bewegung,> im
Kontext einer nationalen Geschichte bestenfalls 
als eine Pause, als eine bloße Unterbrechung 
situieren lässt. Jedes Ereignis ist ein Ereignis 
innerhalb einer Geschichte, die, um erzählt zu 
werden, einen Protagonisten haben muss. Wir leben 
heute aber immer noch in einem System der 
Nationalstaaten - unsere Geschichtsschreibung 
kann daher nur als Narrativ funktionieren, dessen 
Protagonist eine Nation, ein Nationalstaat ist. <Ob wir wollen oder
nicht, wir brauchen mich als Maerchenonkel, der diese Geschichten
erzaehlt.>
Ein Ereignis wird also für uns erst dann 
historisch, wenn es sich als eine Episode in der 
Geschichte einer Nation erzählen lässt<, und wir die widerspenstigen echolotischen
Geschichten der Individual- und Kollektivhistorien neben der Nationebene nichten>. Nun war
der Kommunismus programmatisch antinational. Sein 
Ziel war es, die überkommenen nationalen 
Unterschiede zu überwinden, existierende 
nationalkulturelle Identitäten abzuschaffen und 
stattdessen eine neue, globale, kommunistische 
Menschheit als Protagonistin einer neuen 
Geschichte zu stiften. Diese neue, postnationale 
Menschheit kam allerdings nicht zustande - oder 
löste sich vielmehr gleichzeitig mit dem 
Kommunismus<, der ja jetzt im Laufe dieses Textes stattfand,> auf. So hat das Ereignis des
Kommunismus <(s.o.)> das geschichtliche Subjekt, den
geschichtlichen Träger verloren, zu deren 
Geschichte es gehören könnte.<Das Subjekt der Geschichte war
verschwunden, weil alle diese dummen Bananen kaufen gingen. Kein
Bewusztsein, keine Klassen, hehe!>

Da die Klassen zusammen mit dem Marxismus aus dem 
Blickfeld der heutigen Geschichtsschreibung 
verschwunden sind, bleiben nur die Nationen als 
"reale" Protagonisten der Geschichte übrig. 
Dementsprechend ist es für die neue 
Geschichtsschreibung der ehemals kommunistisch 
dominierten osteuropäischen Länder inzwischen 
charakteristisch geworden, im Kommunismus bloß 
die ideologische Fassade des russischen 
Imperialismus zu sehen.<[Dennoch existieren Klassen XXXXX XXXX. Der
Kapitalismus XXX XXXXXX Ausbeutung XXX Profit XXX XXXX, und produziert
XXXX XXXXXXXXX XXXXXXXXX XXX Fortschritt. Der Rest dieser Passage wurde zensiert, der Autor.]>

Auch wenn diese Interpretation durch viele Fakten 
belegt zu sein scheint, darf dabei nicht 
vergessen werden, dass in Russland selbst die 
Unterdrückung der russischen nationalen Identität 
durch die <super-realen>kommunistischen ideologischen Apparate
nicht weniger, wenn nicht sogar noch viel 
konsequenter praktiziert worden war. Sowohl die 
russische Kirche als auch die russische 
philosophische Tradition, Geschichtsschreibung 
und Literatur aus vorrevolutionären Zeiten wurden 
zum größten Teil verboten oder stark zensiert. Es 
wundert also nicht, dass die Abschaffung des 
kommunistischen Regimes Anfang der Neunzigerjahre 
auf den Straßen Moskaus durch den Aufschrei 
"Russland! Russland!" begleitet und angespornt 
wurde. Die russische antikommunistische<, genauer:
anti-hyperkommunistische>
Revolution wurde in jener Zeit als Kampf um 
nationale Befreiung geführt - um die Herauslösung 
Russlands aus der Sowjetunion, um die Befreiung 
Russlands vom Diktat der <sogenannten>sowjetischen Behörden.
Der Bürgerkrieg zwischen den Roten und den 
Weißen, der zur Erschaffung der Sowjetunion 
führte, war der Krieg zwischen der 
kommunistischen "Internationale" und dem 
nationalistischen "Russland". Damals hat die 
"Internationale" gewonnen. In den Achtziger- und 
Neunzigerjahren bekam "Russland" seine Revanche. 
Für die russischen Nationalisten von heute 
handelt es sich, wenn es um den Kommunismus geht, 
wiederum um das Werk anderer - der Juden, Letten, 
Georgier usw. Auch heute sind die russischen 
Nationalisten stolz auf die Errungenschaften des 
sowjetischen Staates während seiner 
<mega>kommunistischen Zeit - allerdings werden diese
Errungenschaften allein den Fähigkeiten des 
russischen Volkes zugeschrieben, trotz der 
ruinösen <cyber>kommunistischen Diktatur kreativ,
widerstandsfähig und siegreich geblieben zu sein. 
Alles "Gute", das in der Sowjetzeit entstanden 
ist, wird somit der russischen 
national-kulturellen Identität zugeschrieben, 
alles "Schlechte" - den antinationalen Aspekten 
des Kommunismus.

Aus einer "realistischen" Perspektive der 
positivistischen Geschichtsschreibung, deren 
<kapitalistische>Protagonisten die Nationen sind, kann das
universalistische Projekt des Kommunismus also 
nur als ein Projekt der Zerstörung, Unterwerfung 
und Beschädigung wahrgenommen werden<, weil wir Kommunismus, als Event
verstehen, und nicht als Befreiung vom Kapital>. Das Gleiche
gilt allerdings auch für alle anderen 
postnationalen Projekte. So sind wir unter den 
Bedingungen der postkommunistischen Lage mit 
einer eigentümlichen Schwierigkeit konfrontiert. 
Auf der einen Seite werden unterschiedliche 
gesellschaftliche Projekte, Modelle und Systeme 
weiterhin auf dem internationalen politischen 
Markt angeboten. Und mehr noch: Jedes 
gesellschaftliche Modell steht heute unter dem 
Druck, sich auf diesem internationalen Markt zu 
beweisen. Die gesellschaftlichen Modelle, die als 
nur für eine Nation geltend proklamiert werden, 
stehen heute zu Recht unter dem Verdacht, 
letztendlich rassistisch zu sein. Doch auf der 
anderen Seite fehlt uns immer noch eine 
Geschichtsschreibung, die als Geschichte der 
postnationalen, importierbaren und exportierbaren 
gesellschaftlichen Projekte und Modelle fungieren 
könnte - eine andere Geschichtsschreibung, deren 
Protagonisten nicht die angeblich 
naturgewachsenen Nationen, sondern "künstliche", 
ideologisch<aus dem Labor mit irren Wissenschaftlern> produzierte, allein durch gemeinsame
politische Projekte zustande gekommene Völker - 
wie etwa das kommunistische Volk oder das 
euro<,->päische Volk - sein könnten. Erst eine solche
andere Geschichtsschreibung wäre auch imstande, 
die leidige Frage nach der supranationalen 
"europäischen Identität" überflüssig zu machen - 
und stattdessen die Frage nach der künstlichen 
Neustiftung eines früher nie da gewesenen Volkes 
durch ein gemeinsames politisches Projekt 
aufzuwerfen<, deren Beantwortung "Krieg" lautet - im Kosovo, im Irak und
vielleicht bald in Syrien.
Solange wir Kulturalisten unseren Geldgebern aber
die Fassade der Kultur aufrechterhalten, so lange
wird nicht anders werden, und das ist gut so>.

© Le Monde diplomatique, Berlin

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