Serbiens falsches Signal

Ivo Skoric ivo at reporters.net
Sun Jul 11 15:41:28 CEST 2004


So, Serbia will celebrate inauguration of its new president on the 
date of Srebrenica massacres. Dancing on the graves? I have no idea 
why Serb leaders - regardless of their nominal political orientation -
 display that need to be viewed as the "bad boys". Maybe they are 
afraid of being perceived less manly, if they adopt some civilized 
manners, like observing the days of sorrow in the neighboring 
countries their predecessors had plundered?
ivo

On 10 Jul 2004 at 15:52, Andras Riedlmayer wrote:

http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/11.07.2004/1239464.asp
Der Tagesspiegel (Berlin)
11. Juli 2004

Serbiens falsches Signal

In Belgrad wird heute der neue Präsident vereidigt - ausgerechnet am
Jahrestag des Massakers von Srebrenica

Von Caroline Fetscher

  Als "Willy Brandt von Serbien" haben die Medien in seinem Land
den neuen Präsidenten Boris Tadic schon gefeiert.  Vielleicht sollten
sie etwas weniger vollmundig klingen. Etwas leiser. Denn der erklärte
Demokrat und gelernte Psychologe Tadic hat sich ein denkbar
ungeeignetes Datum für die Zeremonie ausgesucht, an der er seinen
Amtseid ablegt. Auf ein schweres Datum fällt der Tag, ein Datum ohne
Vergleich in den Zerfallskriegen auf dem Balkan. Denn am 11. Juli 
1995
begann an dem Ort Srebrenica in Ostbosnien - unter den Augen von
Blauhelmsoldaten der Uno - das größte Massaker in Europa seit dem
Zweiten Weltkrieg.

  Achttausend muslimische Jungen und Männer wurden hier von
serbischen Soldaten und Milizen erschossen. Krude durchgeplant, mit
perfider Logistik und kaltem Auge, dauerte das Morden nur einige 
Tage.
Das Leiden abertausender Angehöriger aber hält seitdem an. Über
sechzig Massengräber haben Ermittler inzwischen sichergestellt.  Und
Jahr für Jahr ist der 11. Juli in Bosnien ein Tag der Trauer.  Anfang
Juni hat sogar der Präsident der bosnischen Serben, Dragan Cavic,
öffentlich und im Fernsehen erklärt, Srebrenica sei "eine schwarze
Seite in der Geschichte der Serben".

  In Belgrad scheint man auch unter Tadic so weit noch nicht zu sein.
Das Entsetzen über die Wahl dieses Tages zum Amtsantritt eines neuen
serbischen Präsidenten hält bosnische Spitzenpolitiker davon ab, an
der Zeremonie teilzunehmen. In Sarajevo schrieb die Zeitung
"Oslobodjenje" am 7. Juli auf der Titelseite: "An diesem Tag, und das
weiß man in Tadics Umfeld in Belgrad ebenso genau wie in der
serbisch-montenegrinischen Botschaft in Sarajevo, jähren sich die
schrecklichen Gräueltaten in Srebrenica.  An diesem Tag - auch das
wissen sie sehr wohl - werden wieder Ermordete aus Srebrenica
beerdigt.  Europa wird an diesem Tag einmal mehr vor Scham erröten."

  In Serbien, dem Land der meisten Täter und Anstifter der Kriege in
den Neunzigerjahren, gibt es Sekt und Händeschütteln, Applaus und
Musik, während Boris Tadic auf die Ehre seines Amtes, die Treue und
Hingabe an sein Land schwört und dann anstoßen darf.  In einem 
kleinen
Vorort Srebrenicas, Potocari - benannt nach den Brückenmühlen der
ländlichen Gegend -, sind 20000 Trauernde am Mahnmal für Srebrenica 
zu
einer Beerdigung versammelt. Nicht ein einzelner Sarg, sondern 338
Särge werden dort heute in die Erde gesenkt. Darin liegen die
sterblichen Überreste von Toten, die einen Namen erhalten haben, wie
der Vater von Fadila Omerovic, die noch ein kleines Mädchen war, als
ihr die Täter ihn genommen haben. Allein anhand genetischer Tests
erhalten die Ermordeten ihre Identität zurück. 989 von ihnen wurden
bisher identifiziert, 5000 Exhumierte liegen in den Hallen der
Ermittlungsbehörden, viele weitere noch unentdeckt in den Gräbern.

  Nein, sagen sie in der serbisch-montenegrinischen Botschaft in
  Sarajevo,
das Datum sei reiner Zufall, verfassungsgemäße Verfahren hätten es
diktiert, es habe "keinen politischen Hintergrund".  Vielleicht, sagt
der ehemalige bosnische Botschafter für Serbien-Montenegro, Zeljko
Komsic, "aber das Zusammentreffen der beiden Daten weist darauf hin,
dass hier etwas nicht stimmt".  So kommt es zu diplomatischen
Verwerfungen - und zu traumatischen Schreckmomenten bei Bosniaken.

  Sulejman Tihic jedenfalls, Mitglied der bosnisch-herzegowinischen
Präsidentschaft, wird in Potocari sein. Wie sein kroatischer Kollege
hat er die Einladung nach Belgrad ausgeschlagen. Dragan Cavic,
Präsident der "Republika Srpska", konnte nach Österreich ausweichen -
auf die Trauerfeier für den Bundespräsidenten Thomas Klestil.  Welche
"Westler" aber, fragt man sich angesichts der diplomatischen
Fehlleistung des Boris Tadic, beraten eigentlich die serbische Elite?
Oder erwies sich die als resistent gegenüber klugem Rat?


2004 © Verlag Der Tagesspiegel GmbH






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